Redebeitrag des Abgeordneten Thomas Löser (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU und SPD: „Einsetzung der Enquete-Kommission ‚Aufarbeitung der Corona-Pandemie: Lehren für den zukünftigen Umgang mit Pandemien im Freistaat Sachsen’“ (Drs 8/253)
5. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 19.12.2024, TOP 3
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
werte Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn die Corona-Pandemie zum Glück vorbei ist, das Thema Corona als gesellschaftliches Phänomen ist es leider noch nicht.
Auch wenn wir alle froh sind, dass es keine Einschränkungen mehr gibt, dass wir in unseren normalen Alltag zurückgekehrt sind, arbeitet das Virus in den Tiefenschichten unserer Gesellschaft weiter. Bis heute werden die politischen Maßnahmen diskutiert, bis heute stehen zwischen Freunden und Verwandten Vorwürfe, Zerwürfnisse, Anwürfe im Raum. Bis heute leiden Menschen gesundheitlich massiv an den Folgen der Pandemie.
Diese Pandemie war eine absolute Ausnahmesituation und hat unsere Gesellschaft bis zur Zerreißprobe belastet. Wenn wir heute über diese Zeit nachdenken, müssen wir uns noch einmal klarmachen, dass wir allein in Sachsen von circa 18.000 Menschen sprechen, die an oder mit Corona gestorben sind.
Viele Menschen, die in die unmittelbare Bewältigung der Corona-Pandemie eingebunden waren, beispielsweise im Gesundheitswesen, in den Verwaltungen, in den Betrieben und Schulen, gingen bis an und oft über ihre Belastungsgrenzen hinweg. Und es kann und darf bei der Betrachtung dieser Zeit nicht um einseitige Schuldzuweisungen gehen, denn die allermeisten Menschen haben im konkreten Augenblick, aus dem Wissen der damaligen Zeit gehandelt.
Auf der anderen Seite gibt es seit zwei Jahren zurecht die Forderung nach einer politischen Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Leider konnten sich bis jetzt weder der Bund noch Sachsen zu einer Aufarbeitung der Corona Politik durchringen, wenn man von dem eingesetzten Untersuchungsausschuss absieht.
Ich glaube, dass dies ein Fehler war, der politisch destruktive Gruppierungen eher gestärkt hat. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass diese Aufarbeitung nun auch mit der Einsetzung einer Enquete-Kommission in Sachsen beginnen soll.
Eine Gesellschaft, die während der Pandemie mit dem Argument der wissenschaftsbasierten Handlungsmaxime politische Maßnahmen rechtfertigte, muss auch in der Lage sein, diese Maßnahmen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Demokratie braucht aktive Fehlerkultur und muss in der Lage sein, sich kritisch zu hinterfragen. Davon bin ich fest überzeugt, denn das unterscheidet uns auch von autokratischen Regimen weltweit.
Dieser respektvolle Austausch, verbunden mit einem öffentlichen, kritischen Diskurs sollte den Geist dieser Enquete bestimmen.
Wir haben mit unserem Änderungsantrag zum Antrag von CDU und SPD eigene Schwerpunkte gesetzt, die uns wichtig waren. Wir bedanken uns bei CDU und SPD für die weitgehende Übernahme dieser Punkte in ihren Änderungsantrag.
Das betrifft die Frage nach einer Aufarbeitung der Einschränkungen von Grundrechten und der Frage der Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Parlaments an Entscheidungen. Das betrifft die Frage nach den Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche durch Schulschließungen, durch Vereinsamung, aber auch der Frage von häuslicher Gewalt, von der im besonderen Maße auch Frauen betroffen waren. Und es betrifft die Frage nach der medizinischen Unterstützung und gesellschaftlichen Anerkennung der besonderen Situation von Menschen, die in Folge der Corona-Pandemie an Impfschäden oder Long Covid leiden.
Das Leiden dieser Menschen ist real, auch wenn es nur einen Bruchteil der Gesellschaft betrifft. Bis heute gibt es für diese Menschen zu wenig aktive gesellschaftliche Unterstützung oder Anerkennung. In meinen Gesprächen mit den Initiativen NichtgenesenKids und NichtgenesenSachsen wird sehr deutlich, wie Betroffene oder die Angehörigen von Pontius zu Pilatus eilen und wie ihre täglichen Erfahrungen sind.
Long-Covid wird oft nicht ernst genommen oder man weiß selbst von ärztlicher Seite wenig bis nichts darüber. Die Anerkennung von Post-Vac ist ein verrechtlichtes System, welches auf die Justiz abgeschoben wird und Betroffene neben ihren gesundheitlichen Einschränkungen zusätzlich massiv frustriert.
Menschen, die sich in der Pandemie haben impfen lassen und einen gesundheitlichen Schaden davon getragen haben, diese Menschen haben sich in der Pandemie solidarisch verhalten, aber die Gesellschaft verweigert ihnen heute weitgehend die Solidarität. Das geht so nicht.
Die Beratung in der Enquete-Kommission darf auch nicht dazu führen, dass das Thema Corona die nächsten drei Jahre mit der Begründung „Dazu tagt ja noch die Enquete“ in der politischen Versenkung verschwindet.
Ich wünschte mir beispielsweise von Sachsen ausgehend eine Bundesratsinitiative zur Erforschung von Post-Vac und Long Covid. Wir müssen mehr darüber wissen, denn oft wird die Anerkennung von Impfschäden oder Long Covid mit der Begründung abgelehnt, dass diese Schäden nicht sicher auf die Krankheit oder die Impfung zurückzuführen sind – was oft genug daran liegt, dass es keine Forschung dazu gibt.
Ich bedanke mich bei Kollegin Ines Firmenich (CDU) für die konstruktive Verhandlung zum Antrag und bei Susanne Scharper (Linke) und Simone Lang (SPD), von denen ich weiß, dass sie sich schon lange für Betroffene einsetzen.
Dieser Sächsische Landtag, wir alle stehen hier in Verantwortung und das ist keine abstrakte Verantwortung, sondern sie ist sehr real.
Denn es geht es hier um Menschenleben und konkrete Schicksale.
Bitte lassen sie uns alle in diesem Sinne hier zusammenkommen, ich wünsche dieser Enquete viel Erfolg und bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.